Der erste Entwurf ist immer Mist

Ernest Hemingway

Mein erster Entwurf

Es war mein erstes Mal. Ich bin zufällig auf den NaNoWriMo gestoßen und hatte nichts außer der Grundlage für die Welt: „Säugetiere leben eine Milliarde Herzschläge lang – was, wenn es beim Menschen genauso wäre?“ Und am 1. November 2016 hab ich einfach drauf losgeschrieben.

Bevor es losging, habe ich mir mit meinen über die Jahre in Büro angesammelten Briefmarken ein Scrapbook gebastelt, in dem ich den Fortschritt festgehalten habe auch ich habe mir auch jeden Tag in kurzen Sätzen notiert, was im Roman passiert ist. Dass die Figuren plötzlich andere Wege gegangen sind, als ich erwartet habe und sie sogar mich getäuscht und mir eine andere Wahrheit vorgegaukelt habe. Dafür liebe ich Schreiben.

Am 30. November 2016 war es dann tatsächlich fertig. Und es war gut. Zumindest dafür, dass ich zum ersten Mal losgetippt habe, ohne zu wissen, was passieren wird.

Knapp ein Jahr später war ich im Gespräch mit einer Literaturagentin. Es ging eigentlich um etwas ganz anderes, aber wir sind auf den Roman zu sprechen gekommen. Und ihr Tipp: Das Genre wird hauptsächlich von Frauen gelesen, eine weibliche Protagonistin würde nicht schaden. Also ging es an eine zweite Fassung und der damals noch völlig anders heißende Draufgänger musste sich die Buchseiten mit einer Frau teilen. Es hat sich viel verändert, neue Kapitel, neue Figuren, neue Konflikte. Und es wurde tatsächlich noch besser.

Und jetzt? Jahre nachdem ich das Buch geschrieben habe und zwischenzeitlich den Studiengang „Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus M. A. S.“ abgeschlossen habe, habe ich das Buch wieder zur Hand genommen. Ehrlicherweise war das gar nicht ich, sondern mein Freund. Es klang von allen im Regal stehenden Eigenkreationen für ihn am spannendsten. Und er hat es durchgesuchtet. Die gedachten Cliffhanger waren wohl wirklich Cliffhanger, immer mal wieder hat er den Kindle zur Seite gelegt, geseufzt und gedacht: „Jetzt ist alles aus.“

Beim Mitlesen sind mir zwei Dinge aufgefallen. 1) Über die Jahre und das Studium habe ich meinen detailreichen Schreibstil und bunte, charakterisierende Formulierungen verloren. 2) Das Buch gefällt mir immer noch gut – bis auf ein paar Kleinigkeiten. Naja, etwa ab der Hälfte.

Beim gemeinsamen Lesen sind uns die Dinge aufgefallen, die nicht so gut sind. Wir haben uns neue Wege überlegt, die ganz andere Aspekte und letztlich ein auch für mich schöneres Ende herbeigeführt haben. Und nach meiner Ankündigung, das Buch zu überarbeiten, höre ich jetzt oft: „Wann fängst du mit Jillian an?“ (Jillian, die dazu entwickelte Protagonistin, hat es ihm besonders angetan.)

Und jetzt ist es soweit. Ich habe mir zwischen Arbeit und Privatleben ein bisschen Zeit verschafft, um mich auf das Manuskript zu stürzen, das mich seit dem ersten Gedanken begeistert. Und es passiert zum ersten Mal so richtig: Ich überarbeite. Und zwar nicht nur ein bisschen korrigieren, sondern mit gravierenden inhaltlichen Änderungen.

Wie überarbeiten andere?

Beim Überarbeiten geht jeder Autor auf seine eigene Weise vor. Einige überarbeiten schon im Schreibprozess, wenn sie sich am nächsten Tag wieder ran setzen und bevor sie anfangen, weiter zu tippen. Dann gibt es Überarbeitungen, wenn es fertig ist, nach den Testlesern, nach dem Lektorat. Vermutlich dauert das Überarbeiten länger als der erste Entwurf. Und gerade deshalb und weil ich Angst vor großen Änderungen hatte, habe ich es bisher nie so richtig gemacht.

Schritt 1: Ruhen lassen

Abstand zum Text gewinnen ist vermutlich der einzig logische Schritt, bevor es an die Überarbeitung geht. Quasi als Leser draufschauen, nicht als Autor.

Die Schwächen sehen, die im Flow nicht aufgefallen sind. Vielleicht hast du in der Zwischenzeit manches von dem, was du getippt hast, sogar schon wieder vergessen und staunst jetzt nach einiger Zeit in der Schublade, was da aus deinen Fingern geflossen ist. Auf jeden Fall werden auch die Dinge (besser) auffallen, die noch nicht so saftig sind und Überarbeitung brauchen. Versetze dich in deinen Leser oder noch besser – wie mein Dozent einmal vorschlug – in deinen größten Konkurrenten.

Finde alles, bei dem dein Rivale sagen würde: „Das hätte ich aber anders gemacht.“

Schritt 2: Inhaltliche Überarbeitung

Bevor es an den Feinschliff geht, Füllwörter rausgeschmissen und Wortdopplungen ersetzt werden, muss erstmal die Geschichte stimmen. Also: Durchlesen. Komplett. Ohne direkt dran zu basteln. Einfach nur Notizen machen, wo etwas fehlt, stört, unangenehm auffällt, besser ausgedrückt werden kann, zu wenig Emotion oder ein zu konfliktloser Konflikt entstanden ist. Sind die Figuren stimmig? Und alle offenen Fragen geklärt? Gibt es Logikfehler?

In meiner Rohfassung heißt es einmal, der Protagonist Leif wird mit einem Fleischermesser aufgeschnitten, einige Seiten später war es dann aber eine Handkreissäge. Auch Dialoge, Figurenentwicklung, Erzählperspektive – passt alles so zum Roman?

Wenn nicht: umformulieren, umbasteln, umschreiben.

Schritt 3: Stilistische Überarbeitung

Wenn die Figuren stimmen, der Plot spannend ist und die Dialoge realistisch und nicht mehr hölzern klingen, geht es an den stilistischen Feinschliff. Wortwiederholungen, Satzanfänge und Füllwörter sind jetzt im Fokus. Alles muss raus, was den Text unnötig aufbläht. Ein gezieltes Beispiel gibt Annika Bühnemann in ihrem Blog zu einem Satz von Theodor Fontane. Adjektive sollten aussagekräftig und unersetzbar sein, Satzkonstruktionen abwechslungsreich und möglichst in aktiver Formulierung. Bei all diesen Dingen können Schreibprogramme wie Papyrus Autor unterstützen.

Was jeder Autor nicht nur einmal zu hören bekommt: „Show don’t tell.“ Zeig dem Leser, was du sagen willst, anstatt es zu erklären. Einige konkrete Beispiele findest du auf dem Blog von Schreibscheune.

Scheue dich auch nicht davor, den Text zu kürzen oder sogar ganze Szenen rauszuschmeißen. Frage dich, ob die Szene wirklich nötig ist, um die Geschichte zu verstehen oder ob sie das Lesevergnügen vielleicht sogar bremst. Eine kurze Checkliste, worauf du beim stilistischen Überarbeiten achten solltest, findest du bei Petra Schier.

Schritt 4: Testleser

Wenn du soweit zufrieden bist und langsam das Gefühl hast, aus deinem ersten Entwurf ist tatsächlich ein vorzeigbares Manuskript entstanden, lass einige Testleser drüberlesen, die auch kritisch sein können und dich – natürlich höflich – auf die noch zurückbleibenden Schwächen hinweisen.

Manches mag subjektiv sein und du bleibt bei dem, was du geschrieben hast. Jillian wird am Ende dieses Schicksal haben, ganz gleich, ob es meinen Freund nervt – oder gerade deshalb, weil ich dieses Gefühl erreichen will. Aber wenn mehrere Testleser dieselben Stellen kritisieren oder zu schwammig finden, solltest du vermutlich nochmal drüber gehen.

Schritt 5: Aufhören zu überarbeiten

„Die erste Fassung ist immer Mist, die hundertste aber bestimmt wieder“, schreibt Andreas Eschbach in seinem Blog, in dem er Leseranfragen zum Schreibhandwerk beantwortet. Irgendwann ist auch mal gut. Vermutlich kennt jeder Schriftsteller das Gefühl, einen alten Text zur Hand zu nehmen und sich zu denken: „Das hätte ich jetzt besser machen können.“ Diesen Perfektionismus abzulegen ist nicht ganz leicht und der Grund, wieso ich viel geschrieben aber kaum etwas veröffentlicht habe.

Wie überarbeite ich?

Nachdem ich das Manuskript nochmal gelesen habe und an einigen Stellen sogar sehr stolz auf meine Einfälle und Formulierungen war, habe ich trotzdem viele Stellen gefunden, die mich zwar damals schon gestört haben, ich aber noch nicht benennen konnte, warum. Sei es inhaltlich, wie die meisten Dinge, oder die Formulierungen.

Gerade weil sich inhaltlich etwa ab der Hälfte des Romans vieles verändert, habe ich mich entschlossen, den Text nochmal neu zu schreiben. Zum Glück ging es viele Details, die ich übernehmen kann und auch große Teile der Handlung bleiben gleich, werden noch weiter ausgebaut.

Aber trotzdem heißt das vorerst: Ein neues Dokument. Ein leeres Blatt. Und dieser ständige Perfektionismus.

Natürlich habe ich mit der Überarbeitung angefangen, bevor ich mich mit den Tipps von anderen Autoren auseinandergesetzt habe. Aber groß sind die Unterschiede nicht. Meine Arbeit in den vergangenen Wochen: Einen Kapitelplan über das bestehende Projekt, meine damals bereits formulierten Notizen und Fragen zu Logiklücken und meine beim Lesen neu entstandenen Ideen habe ich in ein Dokument gepackt. Darin ist markiert, was alt und was neu ist – vor allem eben ab der Hälfte, wo sich inhaltlich viel verändert.

Und jetzt hoffe ich, einfach loszulegen. Naja, aber anstatt loszulegen schreibe ich einen Blogartikel darüber, dass ich loslegen sollte. Fällt das schon unter Schreibblockade?

Wie überarbeitest du?

Wenn es um das Überarbeiten geht ist es ähnlich wie mit dem Schreiben: Jeder Autor hat einen anderen Weg, an dessen Ende ein fertiges Manuskript steht. Wie sieht dein Weg aus? Was machst du, nachdem du die erste Fassung geschafft hast? Oder überarbeitest du schon während des Schreibprozesses? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.


Du willst nicht verpassen, welchen Stolpersteinen ich auf der Überarbeitung der aktuellen Fassung begegne und wie und ob ich es letztendlich schaffe, das Manuskript fertigzustellen? Vielleicht sind ja auch ein paar hilfreiche Tipps für dich und deine Projekte dabei. Dann melde dich für den Newsletter an und erfahre als erstes, sobald ein neuer Blogartikel online geht.