Ich bin einer von diesen Menschen, die in einer Gruppe sitzen und die ganze Zeit einfach nur zuhören können – vorausgesetzt die anderen können gut erzählen – und ich muss nicht unbedingt etwas sagen. Das macht mir nichts aus. Zumindest solange bis einem der Anwesenden das auffällt und fordert: „Sag doch auch mal was.“ Dann ist erstmal alles aus dem Gehirn gelöscht, das ich jemals hätte erzählen können. Wie schon mehrfach erwähnt hasse ich ja reden. Dabei können Gespräche auch zur Inspiration helfen. Aber darum geht es heute gar nicht. Sondern eben ums Zuhören.
Zuhören für Themen
Geschichten sind ja überall. Und – entgegen meine strenge Redensart-Brille, die ich beim Lektorat aufsetze – „die besten Geschichten schreibt das Leben.“ Wir alle haben Geschichten, die uns zu demjenigen machen, der wir sind. Die eigene kennen wir bereits. Und die der anderen erfahren wir, wenn wir zuhören. Worüber reden zum Beispiel die Jugendlichen eigentlich heutzutage? So schräg es klingt: Beobachte sie doch einfach mal. Ob in der U-Bahn, auf der Straße oder im Restaurant. Wichtig ist: Aufpassen und zuhören. Manche Themen werden dir bekannt vorkommen: Erste Erfahrungen mit Liebe oder Alkohol. Andere haben sich in der Zwischenzeit verändert wie etwa Cybermobbing.
Hobbys und Interessen sind unterschiedlich. Und genauso die Geschichten, die dahinterstecken. Wie ist deine direkte Kollegin eigentlich zu diesem lebensfrohen Mensch geworden? Und was ist eigentlich das neueste Gerücht über den griesgrämigen Chef? Und wer hat sich nicht schon einmal überlegt, wieso der Typ in der Warteschlange weiter vorne Kabelbinder und Rosen kauft? Egal, ob du dich mit Freunden unterhältst oder auf der Zugfahrt einem lautstarken Telefonat ausgesetzt bist – hier steckt überall Inspiration für Geschichten.
Aber natürlich gilt: Tippe die Gespräche nicht 1:1 ab. Deine beste Freundin wird sich bestimmt nicht freuen, in deinem nächsten Buch ihr komplettes Liebesleben offengelegt zu sehen. Aber inspirierend kann es trotzdem sein.
Zuhören für Figuren
Du kannst beim Zuhören nicht nur auf Themensuche gehen, sondern auch Figuren kreieren und Emotionen einfangen. Etwa die maschinenpistolenartige Lache des Onkels kann eine deiner Figuren charakterisieren genauso wie die Formulierungen, die Jugendliche heute benutzen. Die Art, wie dieser Typ im Bus seine Brille hochschiebt oder das Räuspern, jedes Mal wenn er seine Zeitung umblättert. Beobachte kleine Gesten (ja, das hat nicht unbedingt mit zuhören zu tun, quetsche ich hier aber auch mal mit rein) und hör zu, wie die Menschen um dich herum reden.
Schreibst du beispielsweise einen Regionalkrimi schadet es nicht, ein paar (allgemein verständliche) Dialekt-Wörter aufzuschnappen. Und wie verändert sich die Stimme deiner besten Freundin, wenn sie über ihren Freund redet? Oder über die Schwiegermutter? Beendet der Referent jeden zweiten Satz mit dem piratentypischen „aye“ oder stottert er bei bestimmten Wörtern? Aber Achtung: Hier nicht übertreiben. Authentische Dialoge sind wichtig, aber gelesen können zahlreiche „Ähm“s und zerrissene Gedankenfetzen schnell anstrengend werden.
Wobei hörst du zu?
Such dir (nach dem Lockdown) einen belebten Ort – ein Café, eine Straßenbahn oder auch einfach die Kantine in der Arbeit – und hör ein bisschen hin. Worüber reden die Menschen um dich herum? Und wie reden sie eigentlich? Vielleicht schnappst du die ein oder andere Charaktereigenschaft für dein neues Projekt auf.